Ugly Fashion: abgefuckt ist das neue cool.
Es war ein Gespräch, das sprichwörtlich aus dem Nichts entstand, als mich vor einigen Wochen ein schmaler, blonder Bub mit einer Frage konfrontierte, die stellvertretend eine ganze „Generation Vorzeige-Schwiegersohn“ zu beschäftigen scheint. Wie zum Teufel konnte hässlich das neue schön werden? Und abgefuckt ein Inbegriff von cool? Er, der bis dato in seinen makellosen Chinos und mit seinem aufgekrempelten Hemd über Jahre hinweg dem Prototyp eines jeden Modomoto oder Outfittery Kunden entsprach, wird zu einer vom Aussterben bedrohten Randfigur. Verstehen lässt sich der Weg zum Ugly Fashion Trend mit klarem Menschenverstand nicht immer. Erklären kann man ihn trotzdem.
Im Prinzip sind wir Menschen stupide Gewohnheitstiere. Und das nicht nur im gesellschaftlichem Sinne. Auch in kulturellen Belangen beschränken wir uns in breitgelatschter Masse auf das was uns vorgeben und vorgelebt wird. Dabei haben die Kunst die wir feiern, die Musiker dessen Mucke wir pumpen und die Mode die wir konsumieren alle etwas gemeinsam. Sie sind abgefuckter und hässlicher denn je und verherrlichen all das wofür uns unsere Großeltern nicht nur eine, sondern gleich zwei Schellen im Sekundentakt verpasst hätten. Dazu zählen neben Hustensaft und Kokain verherrlichenden Rappern, auch Models oder Künstler, die es lieben mit tief eingefallenen Augenringen und einem Lifestyle, der eher an Penner erinnert, einen neuen Status Quo zu kreieren. Diese mittlerweile fast schon anerkannte abgefuckte Alltagstauglichkeit hat, wie so ziemlich alles im Leben, seine Vor- und Nachteile. Wie diese Debatte um tolerantes Denken auf der einen und Werteverfall auf der anderen Seit entstand, lässt sich in drei Schritten erklären:
Der kulturelle Wandel
Kunst und Mode sind neben der Musik und Kulinarik tragende Säulen unserer Kultur. Und sie haben mehr gemeinsam als manch einer denken mag. Beide Kulturformen befinden sich aktuell an einem Punkt, an dem alles erdenkliche als Kunst tituliert und jeder mögliche Look als Mode beziffert werden kann. Das war nicht immer so. Die Meisterphasen à la Christian Dior und der Impressionismus unter Cristobal Balenciaga oder Yves Saint Laurent hatten genauso klare Regeln wie die von Vivienne Westwood, Rei Kawakubo oder Yohji Yamamoto geprägten avantgardistische Phasen der Modegeschichte. Selbst Pop-Art funktionierte bei beiden Kulturformen gleich. Aushängeschilder wie Versace oder Moschino gaben hier modisch den Ton an, während Roy Lichtenstein oder Andy Warhol diese Epoche in der Kunst anführten. Ein überschneidender Ansatz, der vielleicht vielen von euch vorher noch nie aufgefallen ist, jedoch klar verdeutlicht, dass sowohl in der Kunst, als auch in der Mode nach Regeln gespielt wurde.
Diese wurden in der heutigen post-modernen Mode- bzw Kunstphase abgeschafft. Alles kann, nichts muss! Ein in Stein gemeißelter Pimmel als Kunstinstallation? Why not! Überdimensionale orthopädische Schule als Trendsneaker? Her damit! Grenzen gibt es keine mehr. Der Rahmen für kulturelle Bedeutung scheint sich somit unbegrenzt auszudehnen und den Menschen einen nie zuvor da gewesenen Spielraum zu lassen. Bewerten lässt sich wiederum auch dieser Wandel nicht, denn am Ende ist es was es ist: ein neuer Status Quo.
Als aus Stil Mode wurde
In dieser neuen Ära zählt so ziemlich jede Art von Kleidung als Mode. Das beinhaltet sowohl Fast-Fashion Retailer wie H&M und Zara, als auch Sportartikelhersteller wie Puma, Adidas oder Nike, die uns im Grunde genommen eine Steilvorlage für den heute so populären Streetwear-Trend geliefert haben und früher eigentlich so gar keinen Platz in der Mode hatten. Damals wurde schließlich von großen Designern diktiert was en vogue und Trend war. Und diesen konnte man sich back in the days ehrlich gesagt nur mit dem nötigen Kleingeld besorgen.
Style und Fashion sind ineinander verschwommen. Dabei hatten „modisch sein“ und „stylisch sein“ damals verschiedene Bedeutungen. Für das eine brauchte man Geld, für das andere nicht. Deshalb gibt es auch den Ausdruck „Fashion Victim“. „Style Victims“ würde hingegen niemand sagen. – Eugene Rabkin (businessoffashion.com)
Wer das konnte wurde in „Sex & the City“-Manier schnell als Fashion-Victim abgestempelt. ein Stigma, welches mit der Demokratisierung der Mode immer mehr verschwand. Mode soll schließlich für alle sein. Und so kam was kommen musste. Mode im ursprünglichem Sinn fusionierte mit dem was Profis allgemein als Style verstehen. Outfits wurden mutig kombiniert und als „modisch“ getauft. Ein Wortdreher, wie es eigentlich dümmer nicht sein könnte, denn das Zusammenstellen von Outfits benötigt weder fundierte Kenntnisse der Modegeschichte, noch hat es mit Mode an sich tu tun.
Role-Models und der Kardashian-Effekt
Dank des kulturellen Wandels und dem Weichklopfen des Begriffs „Mode“ stehen wir heute also an einem Punkt an dem alles Trend werden kann: Dad-Sneaker, nie da gewesene Kollaborationen (Louis Vuitton X Supreme), Normcore und Ugly-Trend sind nur einige moderne Erscheinungen, die der Masse Freude bereiten. Populär geworden durch Meinungsmacher aus verschiedensten Entertainment-Branchen. Influencer, die uns schon in den 60er Jahren den Rock & Roll mit all seinen modischen Erscheinungen beschert haben. Auch andere Jahrzehnte hatten ihre Trenderscheinungen. Denken wir nur an die alternative Hippie-Bewegung der 70er, den glitzernden Disko aus den 80ern oder den abgeranzten Grunge à la Kurt Cobain aus den 90er Jahren. Modische Randerscheinungen sind also kein Novum.
Neu hingegen ist der Fakt, dass diese anti-ästhetischen Ugly Fashion Trends Mainstream geworden sind und eine ganze Jugend infizieren. Was bei den heutigen Möglichkeiten der Selbstdarstellung und der globaler Vernetzung, ehrlich gesagt kein Wunder ist. Denn Kim Kardashians gab es auch früher. Vielleicht mit etwas mehr Werten, jedoch definitiv ohne Internet.